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Wer bezahlt nach dem Prozess meinen Anwalt?

Updated: Oct 9, 2024


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Diese Frage kann man auch gleich noch weiter fassen: „Wer bezahlt nach dem Prozess?“ Schließlich haben nicht nur Anwälte einen (hohen) Preis, sondern auch Barauslagen (Honorar eines Sachverständigen, Beweismittel, Dolmetscher, …). Da alles wollen wir hier – zumindest in Grundzügen – erklären. Schließlich ist das für jeden – auch juristische Laien, die einen Gerichtsprozess bestreiten müssen – höchst praxisrelevant. Je nachdem, ob ein Zivil-, Straf- oder Verwaltungsprozess bestritten wird, gibt es aber Unterschiede:

 

Zivilprozess

Um die verschiedenen Kostenersatzfälle im Zivilprozessrecht besser zu verstehen, macht es am meisten Sinn, wenn wir alles anhand von Beispielen erklären:

 

Sweet Victory

Timo und Tina kollidieren mit ihren Autos auf einer Kreuzung. Tinas Ferrari wird schwer beschädigt, die Reparatur kostet € 50.000, verletzt wird sie nicht. Auch Timos Auto (ein Renault Twingo) wird beschädigt, die Schadenshöhe beträgt aber nur € 2.000. Auch Timo bleibt unverletzt. Tina ist sich sicher, dass Timo allein am Unfall schuld ist und klagt ihn auf Ersatz der € 50.000.

Im Laufe des Prozesses fallen die gerichtliche Pauschalgebühr zur Einbringung der Klage (€ 1.500), Kosten des vom Gericht bestellten KFZ-Sachverständigen zur Klarstellung der Geschehnisse (€ 2.000), Kosten für weitere Beweismittel (€ 500 – diese bestehen aus € 200 für Beweismittel der Tina und € 300 für Beweismittel des Timo) sowie Verteidigungskosten (Honorare der Rechtsanwälte; € 1.400 für Tina, € 1.600 für Timo) an.

Das Gericht ist der Meinung, dass Timo allein den Unfall verschuldet hat. Das Urteil verpflichtet Timo daher zur Zahlung der eingeklagten € 50.000. Wie werden die Prozesskosten verteilt?

 

Bis zum Urteil trägt jeder seine Kosten selbst. Im Urteil kommt es dann zur „Kostenentscheidung“, die bestimmt, wer welche Verfahrenskosten tragen muss:

 

Da Tina diesen Prozess „zu 100% gewonnen“ hat (von den eingeklagten € 50.000 bekommt sie € 50.000, also 100%), ist die Lösung relativ einfach. In Österreich gilt in Zivilprozessen nämlich das sogenannte „Erfolgsprinzip“: Der Sieger des Prozesses muss keine Prozesskosten tragen, der Verlierer bleibt daher auf allen Kosten sitzen. Er zahlt also den eigenen Anwalt, den gegnerischen Anwalt und auch alle anderen Prozesskosten. Das ist gerecht: Timo hat den Unfall und den daraus entstehenden Schaden an Tinas Auto verschuldet. Ebenso seine Schuld ist es daher, dass sich Tina Zeit, Geld und Mühe für das Gerichtsverfahren antun muss, um ihren Schaden ersetzt zu bekommen. Ebenso gerecht ist es im umgekehrten Fall: Hätte Tina geklagt und verloren, weil sie laut Meinung des Gerichts den Unfall selbst verschuldete, so hätte sie daher auch Timos Verteidigungsaufwand verschuldet.

 

Im Endeffekt heißt dies, dass Timo neben dem Ersatz des Schadens an Tina auch alle Prozesskosten zu ersetzen hat. Timos Haftpflichtversicherung (da es sich um einen KfZ-Unfall handelt) ersetzt die € 50.000. Timo selbst (oder, falls vorhanden, seine Rechtsschutzversicherung) zahlt die gesamten Prozesskosten in Höhe von € 7.000.

 

Gleich bleibt es, wenn Tina fast „zu 100% gewinnt“. Klagt sie € 50.000 ein, bekommt aber vom Gericht nur € 47.000 zugesprochen, hat sie zu 94% gewonnen. Da Tina den Prozess zum allergrößten Teil gewonnen hat und der verlorene Teil im Verhältnis dazu sehr gering ist, muss Timo trotzdem alle Prozesskosten in Höhe von € 7.000 tragen.

 

Effektive Verteidigung

Anders als oben wäre es aber, wenn das Gericht festgestellt hätte, dass Tina nur ein Recht auf Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von z.B. € 29.200 hat. Das wäre zum Beispiel dann möglich, wenn das Gericht urteilt, dass Timo zu 60% und Tina zu 40% am Unfall schuld ist. Damit hätte Tina an sich ein Recht auf Schadenersatz in Höhe von € 30.000. Timos Anwalt wird allerdings zu Beginn des Prozesses mit Sicherheit eine „prozessuale Aufrechnung“ begehrt haben. Das bedeutet, dass Timos Anwalt für diesen vor Gericht oder in einem Schriftsatz fordert, dass – sollte das Gericht Tinas Forderung auch nur teilweise anerkennen – Timos Forderung von Tinas abgezogen wird.

 

Stellt nun das Gericht – wie hier – fest, dass Timo zu 60% und Timo zu 40% schuld ist, besteht von Tinas 50.000-Euro-Forderung € 30.000 (= 60%) zu Recht. Von Timos Gegenforderung in Höhe von € 2.000, welche durch die prozessuale Aufrechnung „erwacht“, bestehen also € 800 (= 40%) zu Recht. Nun zieht man diese € 800 von den € 30.000 ab, und man erhält die oben genannten € 29.800. Diese muss Timo nun an Tina zahlen. Daraus ergibt sich auch die Verteilung der Prozesskosten, welche uns hier interessiert:

 

In diesem Fall hat Tina nur „zu 58,4% (= 29.200 / 50.000) gewonnen“. Hier kann man also nicht mehr davon sprechen, dass der verlorene Teil des Prozesses im Verhältnis zum gewonnenen sehr gering ist. Es wäre daher ungerecht, Timo trotzdem alle Prozesskosten vorzuschreiben. Die Prozesskosten werden daher nach dem Anteil des jeweiligen Prozessverlusts geteilt. Das funktioniert so:

 

Da Tina den Prozess zu 58,4% gewonnen und zu 41,6% verloren hat bedeutet dies folglich, dass Timo zu 41,6% gewonnen und zu 58,4% verloren hat. Die Verlustquote der Tina beträgt also 41,6%, jene des Timo 58,4%. Dementsprechend werden die Barauslagen (nicht aber die Verteidigungskosten!) geteilt: Timo zahlt 58,4% der Pauschalgebühr und des Honorars des Sachverständigen, Tina jeweils 41,6%. Weiters zahlt Timo an Tina 58,4% ihrer Barauslagen (Kosten der von ihr vorgebrachten Beweise, € 200), also € 116,80. Tina muss 41,6% von Timos Barauslagen (€ 300) ersetzen – also € 124,80.

 

Die Verteidigungskosten (also die Honorare der Anwälte) werden anders aufgeteilt – sie werden saldiert: Tina gewann zu 58,4%, Timo zu 41,6%. 58,4 - 41,6 = 16,8. Daher muss Timo 16,8% von Tinas Anwaltskosten (€ 1.400), also € 235,50, ersetzen. Seinen eigenen Anwalt muss er auch bezahlen. Hätte Tina also nur zu 50% gewonnen, wäre die Differenz null. In einem solchen Fall heben sich die Anwaltskosten gegenseitig auf, jeder müsste also seinen eigenen Anwalt bezahlen.

 

Privilegien?

Es geht auch noch komplexer:

 

Fingieren wir nun, dass nicht Timo, sondern Tina den Unfall allein verschuldet hat. Ändern wir nun den Fall ein bisschen ab, ergeben sich neue Fragen:

 

Der Sachverhalt ist vorerst gleich wie vorher: Verkehrsunfall; der Sachschaden bei Tina beträgt € 50.000, bei Timo € 2.000. Nun klagt aber Timo. Wegen seines kleineren Schadens ist auch die Pauschalgebühr geringer (€ 180), Tinas Beweismittel kosten € 200, jene von Timo € 300. Die Anwälte kosten jeweils € 1.400 und € 1.600. Der KFZ-Sachverständige kostet € 2.000.

Nun aber die Variante – neben dem Schaden an seinem Twingo wird Timo durch den Unfall verletzt. Er möchte daher ein angemessenes Schmerzengeld erhalten und klagt diesbezüglich € 2.000 ein. Um zu ermitteln, wie viel Schmerzengeld sich Timo wirklich „verdient“ hat, beauftragt die Richterin einen medizinischen Sachverständigen. Dieser soll ermitteln, wie lange Timo welcher Intensität von Schmerzen ausgesetzt war. Für seinen Aufwand (erstellen des Gutachtens, Befragung vor Gericht) stellt er € 1.000 in Rechnung. Nach dem Durchlesen des Gutachtens ist die Richterin der Meinung, dass Timo nur ein Recht auf Schmerzengeld in Höhe von € 1.100 hat.

Schlussendlich verurteilt die Richterin Tina zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von € 3.100 (davon € 2.000 für den Schaden am Auto und € 1.100 an Schmerzengeld). Wie werden nun die Prozesskosten verteilt?

 

Es wäre jetzt naheliegend zu denken, dass dieser Fall gleich zu behandeln ist wie oben (wo Tina zu 58,4% gewann; verhältnismäßige Kostenverteilung). Das ist hier aber nicht der Fall, da das Schmerzengeld eine sogenannte „kostenprivilegierte Forderung“ ist. Das bedeutet, dass auch, wenn nur 50% der privilegierten Forderung zugesprochen werden, Kostenersatz zu 100% gebührt. Nicht nur Schmerzengeld ist eine kostenprivilegierte Forderung. Auch alle anderen Forderungen, die höhenmäßig vom richterlichen Ermessen oder von der Ermittlung ihrer Höhe durch Sachverständige abhängig sind, sind kostenprivilegiert. Bei solchen Forderungen ist nämlich im Vorhinein schwer abschätzbar, was der/die Richter*in im Rahmen seines/ihres Ermessens entscheidet bzw. was das Gutachten hervorbringt. Bei Schmerzengeld ist dies auf besonders anschauliche Weise der Fall: Nur ein Arzt/medizinischer Sachverständiger kann objektiv ermitteln, welche Schmerzen der Betroffene wie lange aufgrund seiner Verletzung erlitt. Ein*e Anwalt/Anwältin kann das sicher nicht, daher soll diese*r bzw. sein/ihr Mandant nicht die volle Härte des Kostenrechts spüren, wenn er bei der Schätzung etwas überschießt.

 

Umgemünzt auf unseren Fall bedeutet das Folgendes: Timo klagte € 2.000 an Schmerzengeld ein. Davon befand die Richterin aufgrund des Sachverständigengutachtens € 1.100 für angemessen. Timo bekam also 55% seiner kostenprivilegierten Forderung zugesprochen. Daher ist Tina für das Schmerzengeld zu 100% kostenersatzpflichtig. Ebenso ist sie dies für den Sachschaden an Timos Auto, da Timo hier zu 100% gewann (siehe oben). Neben den € 3.100 als Ersatz für den Sachschaden und das Schmerzengeld muss sie also auch alle Verfahrenskosten (hier € 5.680) bezahlen.

 

Gewonnen und doch verloren

Es gibt aber auch Fälle, in denen man, obwohl man eigentlich teilweise gewonnen hat, gänzlich kostenersatzpflichtig wird: Stellen wir uns wieder die Variante des Falls von oben vor und ändern diesen leicht ab:

 

Timo klagt € 4.000 ein, davon jeweils die Hälfte aus Sachschaden und Schmerzengeld. Alle weiteren Kosten (Sachverständiger, Pauschalgebühr) bleiben gleich. Wieder wird ein Schmerzengeld in Höhe von € 1.100 als angemessen befunden – wie sich gleich zeigen wird, könnten aber auch alle € 2.000 zugesprochen werden, trotzdem würde sich nichts ändern: Dieses Mal kommt die Richterin nämlich zum Schluss, dass Tina zu 70% und Timo 30% am Unfall schuld ist.

 

Auch hier wird Tinas Anwalt eine prozessuale Aufrechnungserklärung in Höhe von € 50.000 erhoben haben. Dies ist wegen der Höhe von Tinas Forderung im Vergleich zu der von Timo für dessen Hoffnungen auf einen Prozesssieg fatal: Da Timo zu 30% am Unfall schuld war, besteht Tinas Forderung zu 30%, also in Höhe von € 15.000, zu Recht. Das ist wesentlich mehr als die € 2.170 (= 70% von € 3.100), welche Timo zustehen. Timos Schadenersatzanspruch wird also durch jenen von Tina „aufgefressen“. Im Urteil steht, dass „die Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung zu Recht besteht“, Timo stehen also € 0,00 gegen Tina zu. Daher verliert er, obwohl er größtenteils Recht bekommen hatte, den Prozess! Folglich wird er voll kostenersatzpflichtig.

 

Zu erwähnen ist hierbei aber auch, dass das Gericht nur „bis auf null runtergehen“ kann: Obwohl Tinas Forderung um € 12.830 überwiegt, kann das Gericht innerhalb dieses Prozesses Timo nicht verpflichten, diese Differenz an Tina zu leisten. Wenn Timo diese nicht freiwillig zahlt, muss sie sie also einklagen, folglich wäre ein neuer Prozess zu führen. Diesen würde Tina sicherlich aufgrund des Urteils im vorangegangenen Verfahren mit Timo schnell gewinnen. Dieses stellt nämlich schon alle Tatsachen fest, die zu Tinas Anspruch auf € 12.830 führen,

 

Zusammengefasst und darüber hinaus

Die Möglichkeiten der Kostenverteilung nach einem Zivilprozess sind zahlreich. Es gilt das Erfolgsprinzip, zu beachten ist aber auch die Höhe einer eventuell bestehenden Gegenforderung des Prozessgegners. In der Praxis kann es noch komplizierter werden, was wir hier aber nur kurz ansprechen wollen: So gibt es etwa konkret bei Verkehrsunfällen immer die Möglichkeit, die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners „mitzuklagen“. War der Fahrer des Autos beim Unfall nicht dessen Halter, kann auch der Halter geklagt werden, da dieser meistens auch noch gesetzlich haftet. Man führt also einen Prozess gegen mehrere auf einmal. Dies ist für Anwälte günstig, weil jede zusätzliche Person auf der Gegenseite ihr Honorar um 10% erhöht. Solche Situationen führen aber zu weiteren kostenersatzrechtlichen Fragestellungen, auf die wir hier nicht eingehen werden.

 

Verwaltungsverfahren

Diesen Teil kann man wesentlich kürzer fassen als jenen zum Zivilprozess. Bei Verwaltungsverfahren geht es nicht um das Ausstreiten der Rechte und Pflichten zwischen Privatpersonen oder -Unternehmen, sondern um Rechte zwischen Person und Staat/Bundesland (z.B. Ansuchen um eine Baugenehmigung, Bekämpfung einer Geldstrafe fürs zu-schnell-Fahren, …). In Verwaltungsverfahren gibt es fast nie Kostenersatz. Sowohl die Privatperson als auch die Behörde als Gegnerin im Verfahren müssen ihre eigenen Kosten tragen. Die wichtigste Ausnahme hiervon sind Verfahren zur Bekämpfung eines Führerscheinentzugs (etwa wegen Alkohol am Steuer). Ohne Erfolgsprinzip und Kostenersatz sind Verwaltungsverfahren daher kostenersatzrechtlich wesentlich einfacher als Zivilprozesse. In der Praxis bedeutet dies aber auch, dass kaum eine Rechtsschutzversicherung Verwaltungsverfahren deckt, da sie bei solchen immer zahlen müsste und selbst bei einem Sieg keine Chance auf Kostenersatz Chance hätte.

 

Strafverfahren

Auch im Strafverfahren gibt es gewöhnlicherweise keinen Kostenersatz. Der/die Beschuldigte/Angeklagte/Verurteilte muss die Kosten des Gerichts („besondere Kosten“ und „Pauschalkostenbeitrag“) und jene seines/ihres/seiner/ihrer Anwalts/Anwältin grundsätzlich selbst tragen.

 

Selbst wenn der Angeklagte freigesprochen wird, muss er seinen Anwalt bezahlen. Unter Umständen gibt es dafür Kostenbeiträge vom Bund. Diese sind aber sehr gering. Gratis ist der Anwalt nur dann, wenn man Verfahrenshilfe gewährt bekommen hat, weil man sich keinen eigenen Anwalt leisten kann. Im Falle der Verurteilung muss aber selbst eine Person mit Verfahrenshilfe einen pauschalen Kostenbeitrag für diese entrichten.

 

Zumindest die Kosten des Gerichts sind im Wesentlichen erfolgsabhängig. Der „Pauschalkostenbeitrag“ ist nur im Falle einer Verurteilung durch den Angeklagten zu bezahlen. Dieser soll pauschal jeden Mehraufwand jener Behörden abgelten, die in der Verfolgung und Bearbeitung des Falls involviert waren (etwa Überstunden von Polizisten etc.). „Besondere Kosten“, z.B. Sachverständigengebühren, sind ebenso nur bei einer Verurteilung zu ersetzen. Im Falle einer Verurteilung müssen besondere Kosten, die Taten betreffen, wegen denen der Angeklagte aber letzten Endes nicht verurteilt wird, nicht durch den Angeklagten ersetzt werden, z.B.:

 

Franz wird wegen Mordes angeklagt, letztendlich aber nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Im Rahmen des Verfahrens wurde er von einem psychiatrischen Sachverständigen untersucht, als der Mordverdacht noch bestand. Der Verdacht auf Mord löste sich aber später auf. Die psychiatrische Untersuchung hätte nie stattgefunden, wenn Franz von Anfang an nur wegen fahrlässiger Tötung angeklagt geworden wäre. Franz muss also nicht die Kosten für die psychiatrische Begutachtung ersetzen.

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