Deine Rechte, wenn dein Arbeitgeber die Regeln zur Kündigung oder Entlassung nicht einhält
- Oskar Schuur
- Jul 20, 2024
- 6 min read
Updated: Oct 9, 2024

Kündigungsanfechtung
Gleich vorweg: Wir haben in unserem Blog zum Unterschied zwischen einer Kündigung und einer Entlassung gesagt, dass der Arbeitgeber keinen Grund braucht, um einen Arbeitnehmer zu kündigen. Das stimmt aber nur in der Theorie. In der Praxis sollte ein Arbeitgeber nämlich immer einen Grund zur Kündigung haben:
Kündigt der Arbeitgeber nämlich aus einem verpönten Motiv oder ist die Kündigung sozialwidrig (dazu jeweils gleich) und arbeiten im Betrieb des Arbeitgebers mindestens fünf Arbeitnehmer, kann der gekündigte Arbeitnehmer die Kündigung vor Gericht anfechten.
Das wichtigste verpönte Kündigungsmotiv ist die sogenannte „Vergeltungskündigung“: Wenn der Arbeitnehmer etwa offenes Überstundenentgelt einfordert und der dadurch genervte Arbeitgeber den Arbeitnehmer deswegen kündigt, so erfolgte die Kündigung sozusagen zur Vergeltung gegen den geltend gemachten Anspruch des Arbeitnehmers. Die Kündigung ist somit anfechtbar. Es ist nicht einmal notwendig, dass der gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemachte Anspruch tatsächlich berechtigt besteht. Es reicht, wenn der vermeintliche Anspruch des Arbeitnehmers (auf Entgelt, Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, …) nicht offenbar unberechtigt ist. Dadurch werden also Arbeitnehmer geschützt, die (fast immer) juristische Laien sind und zumindest halbwegs berechtigterweise denken, dass ihnen ihr Arbeitgeber noch etwas schuldet.
Da Motive meistens den Kopf des Arbeitgebers nicht verlassen ist es sehr schwer, solche zu beweisen. Der gekündigte Arbeitnehmer muss daher vor Gericht nicht zweifellos beweisen, sondern nur „glaubhaft machen“, dass die Kündigung wegen dem verpönten Motiv ausgesprochen wurde. Zur Glaubhaftmachung reicht z.B. die zeitliche Nähe der im obigen Beispiel genannten Geltendmachung des Überstundenentgeltanspruchs zum Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitnehmer. Will der Arbeitgeber den Prozess nicht verlieren, muss er beweisen, dass er in Wirklichkeit einen anderen Grund hatte, der ihn zur Kündigung bewegte. Daher sollte ein Arbeitgeber faktisch immer einen Grund „in der Tasche haben“, wenn er einen Arbeitnehmer kündigen will – auch wenn er rechtlich gesehen keinen Grund braucht.
Gewinnt der Arbeitnehmer den Prozess, wird rechtlich fingiert, dass das Arbeitsverhältnis nie endete. Schließlich war die Kündigung auch „verboten“. Der Arbeitgeber muss daher dem Arbeitnehmer (unter anderem) das gesamte Entgelt für die Zeit nach der Kündigung nachzahlen. Der Arbeitnehmer muss wieder für den ehemaligen Arbeitnehmer arbeiten.
Diese soeben geschilderte Situation führt dazu, dass Kündigungsanfechtungen nur selten tatsächlich dazu führen, dass die Kündigung durch das Gericht für unwirksam erklärt wird und der Arbeitnehmer wieder beim alten Chef arbeiten muss. Für den Arbeitnehmer ist es nämlich oft unangenehm, wieder dort arbeiten zu müssen, wo er „rausgeworfen“ wurde. Für den Arbeitgeber ist dagegen das Kostenrisiko enorm: Gerichtsverfahren dauern mehrere Monate oder länger, vor allem, wenn gegen das Urteil des Erstgerichts berufen wird und das Verfahren in die zweite oder gar dritte Instanz geht. Jeder zusätzliche Monat des Prozesses bedeutet für den Arbeitgeber noch mehr Entgelt, dass er bei Prozessverlust an den Arbeitnehmer zahlen muss. Selbst bei Prozessgewinn wird es teuer, da in es Gerichtsprozessen zur Kündigungsanfechtung meistens keinen Kostenersatz gibt.[1] Das ist für den Arbeitnehmer, der oft Rechtsschutz von der Arbeiterkammer hat meistens egal – für den Arbeitgeber aber nicht, für den also selbst ein erfolgreicher Prozess sehr teuer sein kann. Der Großteil der Kündigungsanfechtungen (und Entlassungsanfechtungen) endet daher sehr schnell mit einem Vergleich. In einem solchen gibt sich der Arbeitnehmer mit dem Ende seines Arbeitsverhältnisses zufrieden. Als Gegenleistung erhält er aber meistens finanzielle Boni (erhöhte Abfertigung, …).
Alles oben Gesagte gilt auch, wenn die Kündigung „sozialwidrig“ ist. Sozialwidrig ist eine Kündigung vor allem dann, wenn der Arbeitnehmer daher bei seiner neuen Beschäftigung voraussichtlich wesentlich weniger Geld verdienen oder lange Zeit (~ mehr als sechs Monate) arbeitslos sein wird. Will der Arbeitgeber den Prozess nicht verlieren, muss er beweisen, dass die Kündigung entweder…
· … wegen Gründen in der Person des Arbeitnehmers, die den betrieblichen Interessen des Arbeitgebers schaden (z.B. schlechte Arbeitsleistung, …) oder
· … wegen betrieblichen Erfordernissen, die der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen (z.B. Umstrukturierung, technische Neurungen machen Arbeitskräfte entbehrlich, …)
erfolgte.
Entlassungsanfechtung
Gäbe es keine Möglichkeit zur Entlassungsanfechtung, könnte jeder Arbeitgeber das System der Kündigungsanfechtung umgehen, indem er ungewollte Arbeitnehmer (ohne einen die Entlassung rechtfertigenden Grund) entlässt. Dann müsste er zwar Kündigungsentschädigung zahlen (dazu gleich), hätte aber die Garantie, dass der Arbeitnehmer „nie mehr zurückkommen kann“, wodurch er sich auch den kostspieligen Anfechtungsprozess ersparen würde.
Daher können auch Entlassungen angefochten werden, wenn sie wegen eines verpönten Motivs ausgesprochen werden oder sozialwidrig sind. Die Entlassung darf aber nie gerechtfertigt sein. Das leuchtet ein: Hat der Arbeitnehmer durch sein Verhalten die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar gemacht (z.B. aus der Kasse stehlen, Chef beleidigen, einfach nicht mehr zur Arbeit kommen, …), soll er auch keine Chance haben, das Arbeitsverhältnis per Anfechtung wieder aufleben zu lassen.
Kündigungsentschädigung
Verpönte Motive und Sozialwidrigkeit sind nicht die einzigen Arbeitgeber-Fehler, die für Arbeitnehmer zusätzliche Rechte bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bringen: Ist die Kündigung durch den Arbeitgeber zeitwidrig[2], oder ist die Entlassung ungerechtfertigt, hat der Arbeitnehmer ein Recht auf Kündigungsentschädigung:
Bei einer zeitwidrigen Kündigung oder einer ungerechtfertigten Entlassung endet das Arbeitsverhältnis grundsätzlich zum durch den Arbeitgeber angegebenen Zeitpunkt:
Z.B.: Der bereits drei Jahre beim selben Arbeitgeber arbeitenden Angestellten Lisa wird am 31.05.2024 vom Chef gesagt, dass ihr Arbeitsverhältnis mit dem 14.06.2024 zu Ende sein wird. Lisa wurde also gekündigt. Die Kündigung war aber zeitwidrig. Am 31.05.2024 wäre der nächste mögliche Kündigungstermin für Lisa der 30.09.2024 gewesen. Das Arbeitsverhältnis endet aber trotzdem am 14.06.2024. Lisa verdiente monatlich € 5.000 brutto. (14x/Jahr)
Der Kellner Jan, der erst seit eineinhalb Jahren bei seinem Arbeitgeber ist, wird am 12.02.2024 entlassen, weil sein Chef glaubt, dass er aus der Kasse gestohlen hat. In Wirklichkeit hat nicht Jan, sondern sein Kollege Thomas das Geld gestohlen. Die Entlassung des Jan ist daher nicht gerechtfertigt, sein Arbeitsverhältnis endet trotzdem am 12.02.2024. Jan verdiente 14-mal jährlich € 1.500 brutto.
Es wäre aber nun eine schwere Ungerechtigkeit, wenn Jan und Lisa die Fehler ihrer ehemaligen Arbeitgeber ausbaden müssten. Sie haben daher Anspruch auf eine Kündigungsentschädigung. Diese besteht aus dem gesamten Entgelt, dass dem zeitwidrig gekündigten/zu Unrecht entlassenen Arbeitnehmer bis zum rechtmäßigen Kündigungstermin zustehen würde. Für Lisa ist das der 30.09.2024, für Jan der 31.03.2024. Deckt die Kündigungsentschädigung Entgelt für einen Zeitraum ab, der länger als drei Monate dauert, wird für diesen übersteigenden Zeitraum allerdings alles von der Kündigungsentschädigung abgezogen, was …
· … der Arbeitnehmer anderweitig erwirbt/absichtlich nicht erwirbt
· … sich der Arbeitnehmer durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erspart hat.
Findet Lisa also sofort wieder einen neuen Job, bei dem sie gleich viel Geld verdient, wird dieses „neue“ Einkommen erst nach drei Monaten auf die Kündigungsentschädigung angerechnet, für Lisa also ab dem 15.09.2024. Gleiches gilt etwa für Spritkosten, die Lisa nun nicht mehr aufwenden muss, da ihr neuer Arbeitsplatz nun in Gehdistanz von ihrer Wohnung ist.
Rechenbeispiel für besonders interessierte[3]
Nehmen wir uns Jan als Beispiel: Er verdiente 14-mal jährlich € 1.500 – das sind 12-mal laufendes Gehalt und 2-mal Sonderzahlungen. Jans Urlaubsjahr begann am 01.01.2024, er hat seitdem noch keinen Urlaub genommen. Wie hoch ist Jans Kündigungsentschädigung?
Die Kündigungsentschädigung soll den Zeitraum vom 12.02.2024 bis zum 31.03.2024 abdecken.
Laufendes Entgelt für diesen Zeitraum: Da die Länge der Kündigungsentschädigung nicht in ganzen Monaten ausgedrückt werden kann ist es hilfreich, einen Monat in 4,33 Wochen umzurechnen: Besagter Zeitraum beträgt sieben Wochen. € 1.500 / 4,33 = € 346,42 (Jans Wochenlohn); € 346,42 * 7 = € 2.424,94.
Aliquote Sonderzahlungen: Diese kommen zum laufenden Entgelt hinzu. Der Anspruch auf Sonderzahlungen entsteht nämlich laufend während des Jahres. Jan bekäme zwei Mal im Jahr Sonderzahlungen in Höhe von € 1.500, insgesamt also € 3.000. Wie viel dieser € 3.000 hat Jan bis zum 30.03.2024 erworben? Ein Jahr hat 12 Monate, für drei davon (bis zum 31.03.2024) hat Jan Anspruch auf aliquotierte Sonderzahlungen: Somit hat sich Jan bisher ein Viertel, also € 750,00 an Sonderzahlungen verdient.
Urlaubsersatzleistungen: Jan hat laut Gesetz Anspruch auf 5 Wochen Urlaub pro Jahr. Gehen wir davon aus, dass er fünf Tage pro Woche arbeitet, sind das also 25 Kalendertage Urlaubsanspruch. 25/366 (Schaltjahr!) = ca. 0,07. In jedem Arbeitstag sind also 0,07 Urlaubstage – das macht zwar logisch wenig Sinn, erleichtert aber die Berechnung. Jans Urlaubsjahr begann am 01.01.2024, bis zum 31.03.2024 sind 31 + 29 + 31 = 91 Tage vergangen. 91 0,07 = 6,37 – für so viele Tage stehen Jan also Urlaubsersatzleistungen zu. Diese hat gleich hoch zu sein wie das reguläre Entgelt für diesen somit also 6,37 (€ 1.500 / 4,33 / 7) (= 6,37 * Jans tägliches Entgelt) = € 315,24.
Jans Kündigungsentschädigung beträgt also insgesamt
€ 2.424,94
+ € 750,00
+ € 315,24
= € 3.490,18
[1] Über den Kostenersatz haben wir auch schon was geschrieben: „Wer zahlt nach dem Prozess meinen Anwalt“ findest du in unserem Blog!
[2] Dazu haben wir im Detail bereits geschrieben: „Kündigung und Entlassung. Was ist der Unterschied?“
[3] Einige zur Rechnung verwendete Begriffe kommen in diesem Artikel nicht vor/werden hier nicht erklärt – um den Rahmen nicht zu sprengen. Haltet eure Augen offen, vielleicht gibt’s bald auch was zu Urlaubsersatzleistungen und Co zu lesen.


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